Gendern in der geschriebenen sprache

Gendern – verzwickt!

 

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser
Bestimmt haben Sie es schon bemerkt: hier ist bereits gegendert! Seit Jahrzehnten verwenden wir diese respektvolle Anrede fast automatisch.

Seit ein paar Jahren tobt aber ein Wirbelsturm in der Sprache, vorrangig in der geschriebenen und seit Neustem plustert er sich auf: Nicht nur die Dualität sei zu berücksichtigen, sondern auch die Neutralität.

Die hier Schreibende schert sich nicht darum, ob sich Lesende als Mann, Frau, Beides oder Wedernoch fühlen, es geht sie hier nichts an. Die Schreibende schert sich aber darum, ob ihr Gedanke, ihr Text noch verstanden wird, wenn sie sich das Gendern sprachlich einverleibt.

 

Und es gibt Gründe es NICHT zu tun!

Der wichtigste: Wenn ich als Frau in meiner Funktion immer einen Mann vorangestellt habe, dann geht das für mich in die falsche Richtung. Herrliche Bevormundung! LehrER*in, VerwaltER:in, von mir aus auch RennfahrER:in. Immer vor der Frau, dem in, ein VorgesetztER! Das ist mindesten Mittelalter, das ist zementiertes Patriarchat! Verlangt von jeder Frau, zuerst ein ER zu sein! Das betrifft auch die JurISTin und die ProfessORin. (Der ganz aufmerksame LesER wird an dieser Stelle protestieren: Im Vorgesetzten steckt die Vorgesetzte! Und es kommt vor, dass er der Vorgesetzte ist.)

 

Konsequent wäre also Lehrer und Lehrin, Verwalter und Verwaltin, Rennfahrer und Rennfahrin, Jurist und Jurin, Professor und Professin. Unbedingt! Eine verkürzte Schreibweise müsste entsprechend Lehr:er*in, Verwalt_er:in oder Rennfahr*er/in sein. Es gäbe Schül:er/innen, die das so lernen müssen. Sogenannte Beide oder Wedernoch wären Lehr, Verwalt, Rennfahr, Jur und Profess. Um allen gerecht zu werden und um alle gleich zu behandeln, was in den vorigen Beispielen noch nicht klappt, müsste schliesslich Lehr*, Verwalt* oder Rennfahr* geschrieben werden.

 

Gendersprachzwangsläufig muss auch für den Artikel gehandelt werden: Der, die, das. Das kann ganz kurz und knapp gelöst werden: D*. Um die durch das Personalpronomen zugeordnete Geschlechtlichkeit zu neutralisieren, kann ese verwendet werden, als Kurzform von er-sie-es. Wo das nicht geht, ist die Mehrzahl anzuwenden: euch etc.

 

Eine andere Möglichkeit wäre die Zuhilfenahme des Italienischen. A für weiblich, o für männlich, e für unbestimmt (und hier steht absichtlich nicht «sächlich», da dieses Unterdrückte verständlicherweise entwerten und reizen könnte). Es hiesse dann Lehra, Lehro und Lehre, wobei letzteres auf Schwierigkeiten der Mehrdeutigkeit bereits hinweist. Es könnte überlegt werden, ob, anstelle des italienischen e, das u, das i oder das y verwendet werden könnte. Das i ist allerdings im ursprünglichen italienischen Sinn falsch und würde vorausschauend verhindern, dieses auch im Deutschen für eine neutrale Mehrzahl anzuwenden. Das u erscheint etwas urtümlich, fast berndeutsch und an den Haaren herbeigezogen, während das y dem Zeitgeist sehr gut entsprechen könnte.

 

Es drängen sich weitere Schwierigkeiten in die Betrachtung: Koch und Köchin. Es gab eine Zeit, wo diese beiden Bezeichnungen zwei verschiedene Berufsbilder waren! Eine Frau konnte die Ausbildung zum Koch machen und ein Mann die zur Köchin, zweiteres geschah wohl aufgrund der Berufsbezeichnung eher selten, das heisst er wurde Hilfskoch. Frauen, die die Kochausbildung gemacht hatten, wollten keinen Falls als Köchin bezeichnet werden.
Weder im Koch noch in der Köchin können Beide oder Wedernoch untergebracht werden. Kochy oder Köchu?

Auch Gast und Kunde müssen einem beschäftigen: Gästin ist zu hören und zu lesen. So angesprochen würde die Schreibende gleich wieder abreisen! Es ist bekannt, dass das alleine Reisen für Frauen schwieriger ist, ihnen sprachlich aber mehrere Männer vorauszuschicken erscheint anmassend und alles andere als zeitgemäss. Nicht nur das maskuline t muss weg, auch der Mehrzahl andeutende Umlaut. Gasin, schriftlich für alle: Gas*. Beim Kunden wendet sich das Blatt. Der Mann verschwindet: Kund:in. Getilgt, ausradiert. Gegen diese Unterdrückung müsste seiner wenigstens noch mit einem Apostroph gedacht werden: Kund’in.

 

Im schweizerischen Deutsch finden sich Genderendungen aus dem Französischen. Bevor die deutsche Rechtschreibung neu gedruckt wurde, waren diese Endungen korrekt und diente gelegentlich subtil der Präzisierung: Eine Masseuse war eine Prostituierte und eine Massörin (früher Masseurin geschrieben) eine Frau, die eine medizinische Massage-Ausbildung hatte und ihre Arbeit seriös und legal anbieten konnte. Die Coiffeurin war die Coiffeuse und musste noch keinen ausgelernten Mann vor sich hertragen.

Die ganze Sprachentstehung macht es uns nicht einfach, dem Mann die Vorherrschaft zu entziehen! Schon im «Mensch» steckt der Mann, im Homo Sapiens der französische Homme.

 

Es ist fast nicht zu machen! Der Versuch, gendergerechte Texte mit «Person», «-ende» und abwechselnd -er und -erin flüssig und sinnvoll zu halten, gelingt selten. D* Les* ermüdet, verirrt sich und fällt schliesslich durch die Zeilen. Eine Respektlosigkeit gegenüber jenen Menschen, die schlicht am Inhalt interessiert sind. Wer will das Kauderwelsch? Sind es ganz viele Menschen, die vehement einen Weg suchen sich gar nicht angesprochen fühlen zu müssen? Die Fussball-Frauschaft kann gerne auf das Spielfeld; mutloses und zwängelndes Sonderzeichen-Gendern darf uns aber weder Sprache noch Sinn kosten. Einer sprachlichen Rücksichtnahme oder Eingeschlossenheit ist nicht grundsätzlich eine Absage zu erteilen. Deren absurde Auswüchse sind aber zu unterbinden.

Wenn eine Aufgabe nur noch komplizierter und dementsprechend eine Lösung immer unmöglicher wird, dann darf auch von vorn nachgedacht werden:
Liesse sich nicht einfach ein Zeichen definieren, welches zu Beginn eines öffentlichen Textes gesetzt werden kann und besagt, dass die nachfolgenden Zeilen auf das Gendern verzichten, jedoch alle angesprochen sind? Das grosse Omega
W bietet sich an. Es stilisiert sehr gut eine Weinbergschnecke, welche die Geschlechtsneutralität einfach und klar symbolisieren kann.

 
Lou Scheurmann / August 2023